Sherlock Data Holmes - Schlaglicht auf die Parallelen zwischen Sherlock Holmes und Star Trek

Weihnacht, Jahreswechsel und damit verbunden, dass Ende eines eher bescheiden zu nennenden Jahres. Es gibt doch einiges zu feiern. Zudem ist der winterliche Baker Street Chronicle erschienen und mit ihm ein neuer Artikel aus meiner Feder. Dieser befasst sich mit den Ähnlichkeiten zweier ganz großer fiktionaler Universen, mit der von Sherlock Holmes und Star Trek. Beides ist keineswegs trivial und folgt jeweils ganz bestimmten logischen und moralischen Kompassen. 

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Sherlock Data Holmes

Kurzes Schlaglicht auf die Parallelen zwischen Sherlock Holmes und Star Trek

Was interessiert mich das Publikum, das große unachtsame Publikum? Mit diesem holmes'schen Zitat ist es recht gut getroffen. Logik ist rar geworden in unserer Welt. Die Kunst der Deduktion – die zuerst beobachtet, bevor sie kombiniert und sich zuletzt eine Schlussfolgerung erlaubt – ist zu einer Randsportart weltfremder Spezialisten geworden. So gut wie allen Bewohnern unseres schönen Planeten stehen Wissen und Weisheit tausendener Generationen jederzeit zur Verfügung. Nur fehlen scheinbar Grundlage, Mühe und Mut, den eigenen Verstand zu benutzen. Geistige Emanzipation geht immer mehr verloren, zumindest in Relation zum Anstieg des kollektiven Wissens der Menschheit. Begründet liegt das vielleicht in der scheinbar hoffnungslosen – wenn auch keineswegs gänzlich neuen – Neigung der Menschen, sich seit jeher in schöne künstliche Welten zu begeben. Stichwort „Komfortzone“. Entspricht die eigene Welt, die eigene Lebenswirklichkeit – ob nun global oder lokal –nicht den eigenen Visionen, fühlt man sich unweigerlich von fiktiven Welten angezogen, in denen ein klares zielgerichtetes Muster zu erkennen ist. Diese künstlichen Welten haben somit auch ihr Gutes.

Die Klarheit der 'Star Trek'- Philosophie hat mit der des zuvor zitierten Sherlock Holmes einiges gemeinsam. Beides sind in sich geschlossene und gut durchdachte fiktive Universen, die eine breite Schar von Bewunderern anziehen. Ebenso wie Sir Arthurs Sherlock Holmes reicht Gene Roddenberrys Schöpfung rund um die Abenteuer der Raumschiffe Enterprise, Voyager und Co. weit über die nette Unterhaltung hinaus. Beiden „Schöpfern“ gelang teils bewusst, teils unbewusst die Vermittlung einer für die jeweilige Zeit essentiellen Botschaft. Doyle spießte – so scheint es – vornehmlich die Oberflächlichkeit seiner Zeit auf, was sich auch in Prof. Bells Vorwort zur zweiten Edition von „Eine Studie in Scharlachrot“ widerspiegelt. Jener Unachtsamkeit seiner Mitmenschen stellte er einen Ermittler entgegen, der analytisch schlussfolgert und exakt beobachtet – und in dessen Schatten er dereinst nahezu verschwinden sollte. „Star Trek“ bemüht sich mittels einer ergebinsorientierten Science Fiction, eine Welt aufzuzeigen, die die Probleme der Gegenwart überwunden hat. Moderne Geißeln wie ausbeuterischer Kapitalismus, Umweltzerstörung, Vielstaatlichkeit, individueller Egoismus und globale Seuchen gehören im Szenario von Star Trek der Vergangenheit an: Die Menschheit hat sich dort zum Wohle aller vereinigt. Sie hat gelernt, durch einschneidende Veränderungen und globalen Zusammenhalt zerstörerischen Trieben wie Furcht oder Hass und kollektiver Verweigerung der Selbstreflektion ein Ende zu setzten. Star Trek wie Sherlock Holmes laden ein, sich von der Oberfläche zu emanzipieren und eigenständig zu denken.

Das Element des alten Kampfes zwischen „Gut und Böse“, ja, die Anerkennung dieser Prämisse, teilen die Welten des Sherlock Holmes und von Star Trek ebenso. Dabei zeigt sich oft, dass auch der „strahlende Held“ quasi böse Eigenschaften sein eigen nennt und gerade diese Tatsache oft hilfreich ist, um den „bösen Jungs“ auf die Spur zu kommen. „Erkenne das Gute im Bösen“, könnte hier der Wahlspruch lauten. Captain James T. Kirks promiskuitiver Lebenswandel sowie seine Unbeherrschtheit stehen hier beispielsweise Holmes' Kokain- und Opiatsucht und einer teilweise antisozialen Verhaltensweise gegenüber. Trotzdem treibt beide die Überzeugung an, dass für jedes Problem auch eine Lösung gefunden werden kann und trotz allem der Konsens Priorität genießt. Beide bringen Ordnung in eine chaotische Welt und sind bei all ihrer Brillanz doch fehlbar. Zuiefst menschlich – sie kennen ihre Dämonen und leben mit ihnen.

Andererseits werden häufig – völlig zu Recht – Parallelen zwischen Spock und Holmes gesehen. Hier ist die Fixierung auf die reine Logik und die Überlegenheit der reinen Verstandesleistung zu nennen. Auch verfügen beide über eine intakte Gefühlswelt, die sie jedoch auf ihre eigene Art unterdrücken. Dafür kann man verschiedene Gründe anführen. Zuerst ist hier der väterliche Einfluss auf Spock zu sehen: Er entscheidet sich aufgrund des Gefühlschaos in seiner Jugend für den vulkanischen und gegen den menschlichen Weg. Über die reine Logik und die Kontrolle über die eigenen Emotionen gewinnt er Sicherheit und ein Gefühl veringerter Verletzlichkeit. Die emotionale Ausgliederung reduziert das Risiko, Opfer eigener negativer Empfindungen zu werden – bringt ihn aber auch um den Genuss positiver Erlebnisse. Dieser Umstand wird Sherlock Holmes auch oft unterstellt, wenn Watson wortreich ausschmückt, wie kühl und distanziert sich der Detektiv mit einer Sache zu befassen vermag. Holmes wie Spock teilen allerdings ein großes Empfindungsvermögen für die Ästhetik des Ungewöhnlichen. Und da greift gleich eine weitere schöne Parallele beider Welten. Vulkanier finden unendliche Mannigfaltigkeit in unendlicher Kombination erstrebenswert und ihr Handeln richtet sich nach der Prämisse, Dinge zu finden, die anders sind und über Profanitäten hinausgehen. Wenn Doyles Figur Sherlock Holmes sein ganzes Leben als einzigen Versuch bewertet, sich von den Trivialitäten des Lebens abzulenken, dann können wir ihn uns gut vorstellen, wie er sagt: „Denn nichts ist schlimmer, als bloß zu existieren. Ich sehne mich nach Höhenflügen“. Diese Höhenflüge sind aus meiner Perspektive nichts anderes als die unter den Vulkaniern vereherte unendliche Mannigfaltigkeit.

Neben der scheinbaren Wesensverwandtschaft der zugrundeliegenden Philosophien von Star Trek und Sherlock Holmes existieren auch ganz konkrete Berührungspunkte zwischen beiden Welten. Sherlock Holmes-Autor Nicholas Meyer (z.B.: „The Seven-Per-Cent Solution“) lässt Spock im Kinofilm „Star Trek – Das unentdeckte Land“ (1991) angeblich einen seiner Vorfahren zitieren, wenn er sagt: „Mann muss erst einmal das Unmögliche abgrenzen. In dem, was dann noch da ist, sei es noch so unwahrscheinlich, muss die Wahrheit stecken“. In der Star Trek TV-Serie „The Next Generation“ entführt uns der Android Commander Data gleich direkt in die herrlich viktorianische Welt von Sherlock Holmes – er muss es auf dem Holodeck mit Holmes' Erzfeind Professor Moriaty aufnehmen, der erschreckend real wird, als er die Kontrolle über die Enterprise zu erlangen versucht. Gerade Data fühlt sich von den Geschichten um den britischen Meisterdetektiv im höchsten Maße angezogen; ist er doch anfänglich zu keiner Empfindung fähig, weswegen Logik und Wissenschaft seine Lebenswirklichkeit im hohen Maße bestimmen.

'Star Trek' wie 'Sherlock Holmes' zeigen uns Dinge jenseits oberflächlicher Wahrnehmung. Beide Universen führen eindrucksvoll vor, dass unsere Wahrnehmung nur der Anfang ist und sich mit ihr fantastische neue Welten erschließen können. Allein die Überzeugung, aus einer reinen Denkleistung heraus neue Erkenntnisse zu gewinnen, würde unserer Gegenwartsgesellschaft ganz sicher guttun. Wie oft habe ich von Leuten gehört: „Was nützt es, darüber nachzudenken, wir können es ja doch nicht überprüfen.“ Und genau das ist nachweislich Unsinn. Einstein sagte vor Generationen ein Phänomen heraus, welches erst mit heutigen technischen Expertisen nachweisbar geworden ist und vor einigen Jahren dann tatsächlich bestätigt wurde: Der Nachweis der Gravitationswellen ist ein fantastisches Beispiel, wie unser eigener Verstand durch Sorgfalt im Denkprozess und ergebnisoffene Analyse von Fakten allem anderen um Jahrzehnte oder gar ein ganzes Jahrhundert voraus sein kann – sei es der empirischen Wissenschaft oder unserem gesamten Entwicklungsstand.

Ob man sich nun nach geistigen Höhenflügen sehnt oder dorthin gehen will, „wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist“ - durch den unerschöpflichen Fundus an Veröffentlichungen in Buch-, Film-, oder Serienform haben wir die Möglichkeit, uns noch häufig in diese schönen, künstlichen Welten zu fliehen. Aber sollte diese auch eine Flucht in ein konkretes Morgen sein, denn beiden Universen liegt etwas zugrunde, das echten Nutzen für unser Denken und Handeln bietet. Zumindest, wenn man zu unterscheiden gelernt hat zwischen Wirklichkeit und Fiktion, sowie aus allen Dingen die nützlichen und fürs eigene Leben wertvollen Elemente zu extrahieren. Lassen wir besser niemals zu, dass Professor Moriarty vom Holodeck aus Kontrolle über unser Schiff erlangt, denn er ist nicht real. Lernen können wir jedoch viel von seinem Schöpfer, der sehr wohl real ist.



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