Tempus fugit - Gott, dessen Ursache und das Absurde
In der 22. Ausgabe des 'Ewald & Ewald' erschien vor kurzem dieser Artikel aus meiner Feder. Er beleuchtet ein altes Dilemma. Wie kann ein Schöpfer, der allem was IST, als Ursache dient, doch selbst ohne Ursache sein? Was war "vor" dem Urknall und wie könnte die Realität eines Schöpfers aussehen?
Ob man nun selbst an Gott oder eine vergleichbare Entität glaubt, sei soweit obsolet. Fakt bleibt, unser Universum benötigt irgendeine erste Ursache, einen Ursprung. Ich nenne diesen Ursprung Gott, manche wiederum Allah oder Jahwe. In zunehmender Häufigkeit wird ebenso von einer "ersten Intelligenz" oder von "extradimensionalen Wesen" gesprochen. Dem Katholiken sei es erlaubt hier den alttestamentarischen Schöpfergott zu erkennen, für die Quintessenz dieses Artikels ist es jedoch gleich, wie man die Ursache des Universums in dem wir leben, nennt.
Vom Kreationismus, der allmählich über den großen Teich zu uns nach Europa gelangt, kann man halten was man will. Ich interpretiere dieses Glaubensgebilde als stumpfen Versuch das grassierende "erste zwei Ergebnisse bei Google- Wissen" der Allgemeinheit, für die eigenen dogmatischen Irrwege nutzbar zu machen. Wissenschaftlich begründbar ist freilich nichts davon. Die Frage nach dem Ursprung - die Ursache des Anfangs - des Universums ist allerdings mit Glaubenssätzen nicht zu beantworten. Hier nützt es, die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse des letzten Säkulums zu betrachten und diese einmal mit der in der Bibel beschriebenen temporalen (zeitlichen) Realität des Schöpfers zu vergleichen. Ein Versuch:
Dieses Phänomen nennt man Zeitdilatation. Für ein bewegtes Objekt vergeht die Zeit langsamer im Vergleich zu einem unbewegten Objekt. Beide Objekte befinden sich in ihrem jeweils eigenen Inertialsystem. Hier kommt die Einsteinsche Verknüpfung von Raum und Zeit zum Tragen. Es ist unmöglich, den Raum zu manipulieren, ohne die Zeit gleichermaßen zu beeinflussen. Bei einer solch schnellen Reise durch das All geschieht die Manipulation des Raumes, indem mittels eines Raumschiffs eine große Distanz in einer bestimmten Zeit zurücklegt wird. Zu diesem relativistischen Phänomen kommt noch ein weiteres hinzu, welches sich auf die zurückgelegte Wegstrecke bezieht. Denn wenn der raumreisende Zwilling bereits nach sechs Jahren von seinem Abenteuer zurückkehrt – der Abstand zwischen Erde und Alpha Centauri jedoch eine zehnjährige Reise erfordert – hat er offenbar auch weniger Distanz zurückgelegt, als eigentlich nötig schien. So krümmen hohe Geschwindigkeiten nicht nur die Zeit, sondern aufgrund der raumzeitlichen Struktur des Universums auch den Raum, und es kommt zur sogenannten Längenkontraktion. Aus der Sicht des irdischen Bruders ist sein weltraumreisender Bruder also mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit größer als c geflogen. Dies war aus Sicht des Inertialsystems „Raumschiff“ jedoch zu keiner Zeit gegeben. Für sich genommen ist c immer konstant, in Relation zwischen einen bewegten und einem unbewegten Objekt kommt es hier jedoch zu einem subjektiven Paradoxon.
Ob man nun selbst an Gott oder eine vergleichbare Entität glaubt, sei soweit obsolet. Fakt bleibt, unser Universum benötigt irgendeine erste Ursache, einen Ursprung. Ich nenne diesen Ursprung Gott, manche wiederum Allah oder Jahwe. In zunehmender Häufigkeit wird ebenso von einer "ersten Intelligenz" oder von "extradimensionalen Wesen" gesprochen. Dem Katholiken sei es erlaubt hier den alttestamentarischen Schöpfergott zu erkennen, für die Quintessenz dieses Artikels ist es jedoch gleich, wie man die Ursache des Universums in dem wir leben, nennt.
Vom Kreationismus, der allmählich über den großen Teich zu uns nach Europa gelangt, kann man halten was man will. Ich interpretiere dieses Glaubensgebilde als stumpfen Versuch das grassierende "erste zwei Ergebnisse bei Google- Wissen" der Allgemeinheit, für die eigenen dogmatischen Irrwege nutzbar zu machen. Wissenschaftlich begründbar ist freilich nichts davon. Die Frage nach dem Ursprung - die Ursache des Anfangs - des Universums ist allerdings mit Glaubenssätzen nicht zu beantworten. Hier nützt es, die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse des letzten Säkulums zu betrachten und diese einmal mit der in der Bibel beschriebenen temporalen (zeitlichen) Realität des Schöpfers zu vergleichen. Ein Versuch:
Tempus fugit
Der
ursachenlose Schöpfer als Erschaffer von Raum und Zeit
Vom Kreationismus als Menschenwerk
Sie konnte nicht vergehen, die Zeit
jüngster Jahrzehnte, ohne die Herausgabe eines
populärwissenschaftlichen Machwerks mit sich führen zu müssen, das
suggerierte, Gott habe die Welt vor wenigen Tausend Jahren
erschaffen, Dinosaurier hätten zeitgleich mit den Menschen gelebt
oder die Evolutionstheorie sei das unausgegorene Stückwerk
ausgewiesener Antichristen. Im „Creation Museum“ in Petersburg,
Kentucky, wird den Besuchern gar die ganze Fülle an
kreationistischer Weltsicht präsentiert. Hier wird umständlich
versucht, die Gesetzmäßigkeiten der Lichtgeschwindigkeit nach
Gutdünken zu umgehen, um im museumseigenen Planetarium Objekte zu
erklären, die Millionen von Lichtjahren und damit ebenso viele Jahre
von uns entfernt liegen. Dort beobachtet eine
Vegetarier-Tyrannosaurus Adam und Eva beim Bad und werden „Missing
Links“ als Widerlegung sämtlicher evolutionärer Vorgänge und der
Genetik als Ganzen herangezogen.
So grotesk dies und vieles mehr auch
klingen mag, die Apologeten dieser Strömung – Kreationisten, oder
Intelligent Design-Anhänger genannt – berufen sich fortwährend
auf Fragmente verschiedener Wissenschaftszweige. Viele der
angesprochenen Behauptungen und deren noch mehr stützen sich auf die
Annahme, die C14-Messung (Radiokarbonmethode) sei aufgrund stark
veränderlicher Umweltfaktoren sehr unzuverlässig. Bei dieser
Methode zur Bestimmung des Alters eines zumeist organischen Fossils
wird der Zerfall der radioaktiven Kohlenstoff-Isotope (C14) gemessen.
Dass sich etwaige Ungenauigkeiten im unteren einstelligen
Prozentbereich bewegen und Schwankungen im C14-Gehalt der Atmosphäre
auch durch andere gut erfaßbare Evidenzen bekannt sind, wird hierbei
geflissentlich ignoriert oder gar ganz bestritten. So kann ein
archäologisches Fundstück, welches auf circa 55.000 Jahre datiert
wurde, gut und gern nur 53.000 Jahre alt sein. Logisch und
wissenschaftlich unhaltbar wäre die Behauptung, daß es jedoch
lediglich aus der frühen Bronzezeit stammen sollte – um in die
wörtlich (un)verstandene Schöpfungsgeschichte zu passen. Nur weil
eine Methodik oftmals mit einer gewissen Fehlertoleranz verbunden
ist, heißt das noch lange nicht, daß diese quasi unendlich hoch
sein kann, wenn es gerade passend erscheinen mag, etwas Derartiges zu
behaupten. Selbst Fehlertoleranzen folgen bestimmten
Gesetzmäßigkeiten. Sie derart zu verallgemeinern ist unseriös.
Als methodisch oder gar logisch
begründbar kann man dieses Gedankensystem wahrlich nicht bezeichnen.
Wie sollten diesem Anspruch die Thesen der sogenannten Kreationisten
auch genügen, wird doch immer wieder gegen die Grundregel
wissenschaftlicher Empirie verstoßen – die Theorie muß den
vorliegenden klar ersichtlichen Daten angepaßt werden. Auch als
Logismus a priori kann
man nur wenige dieser Thesen gelten lassen, denn auch das erfordert
ergebnisoffene Denkarbeit. Ziel der Kreationisten scheint es zu sein,
die in unseren allzu menschlichen Worten wörtlich verstandene
Schöpfungsgeschichte der Genesis mit Naturwissenschaft auf Biegen
und Brechen in Einklang zu bringen. Diesem vermeintlichen Einklang
wird nur leider jedes empirische, deduktive und induktive Prinzip
geopfert; eben jene wesentlichen Grundlagen von Wissenschaft und
Philosophie, die Denkarbeit sowie praktische Experimente erst möglich
und zielführend machen. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden hier
bestenfalls selektiv in Anspruch genommen um sie in die bestehenden
Postulate des Kreationismus einzubinden.
An dieser Stelle soll der Begriff
„Kreationismus“ unter die Lupe genommen werden. Dieser vom
lateinischen „creatio“
stammende Begriff bezeichnet im eigentlichen Wortsinn die „Lehre
von der Schöpfung“. An sich eine rühmliche und für Christen,
Muslime und Juden auch verbindliche Sache. Wohl kaum ein Christ wird
der Annahme abhold sein, Gott sei die Ursache des Universums, also
Schöpfer desselben und aller darin vorkommenden Geschöpfe. Nur: Wie
verhält es sich wiederum mit der aus dem Griechischen stammenden
Endung „-ismus“?
Freilich ist dieses kleine Suffix für vieles zu gebrauchen. Häufig
wird es interpretiert als Synonym für eine spezielle Lehre,
politische Orientierung oder eine philosophische Strömung, so wie
bei Katabolismus, Liberalismus oder Historizismus. Auch findet es
sich in einem quasi wertenden Begriff wieder: wie Dilettantismus,
wenn zum Exempel ein naturwissenschaftlich geschulter Autor sich
allzu sehr im Linguistischen zu verlieren droht. Sei es drum. Im
vorliegenden Sachverhalt impliziert es eine Lehre oder auch ein
Dogma, dem sich alle Fakten unterzuordnen haben.
Von der Vorstellung der Kreationisten,
Gott hätte uns zwar Vernunft und die Fähigkeit zum logischen Denken
gegeben, verlange aber unsere Mißachtung dieser Begabung, falls wir
im Konflikt mit vorgefaßten Dogmen stehen, möchte sich der Autor
ausdrücklich distanzieren. Liegt hier nicht gerade im erweiterten
Kontext ein Fall vor, den Paulus in seinem ersten Brief an die
Thessalonicher gemeint haben könnte, wenn er sagt: „Prüft alles,
und behaltet das Gute!“ (I.
Thess. 5,21 EÜ)?
Bei all diesen Versuchen, die Genesis
in ein für uns Menschen allgemeinverständliches
naturwissenschaftliches Gerüst zu integrieren übersieht man doch
diejenigen Möglichkeiten, welche die moderne Naturwissenschaft
tatsächlich bietet, um Gott im Rahmen des eigenen Verstandes
näherungsweise zu erfassen. Die Forschungen im Bereich der
theoretischen Physik und Astronomie haben im letzten Säkulum
beachtliche Einsichten in die uns umgebende Realität ermöglicht und
auch eine Vorstellung dessen vermittelt, welche Prozesse außerhalb
unserer Alltagswahrnehmung ablaufen. So wollen wir einmal den Versuch
wagen, die Fragen nach der Zeit vor dem Urknall und der Ursache des
Schöpfers aus physikalischer Sicht zu beleuchten, anstatt uns mit
vegetarischen Dinosauriern und seltsamem Halbwissen abzugeben.
Die Frage nach dem Schöpfer, welcher
laut gängigem Logismus doch selbst nicht ursachenlos sein kann, wenn
er Universum und uns Menschen selbst als Ursache dient, ist uralt und
immer schon Kern aller möglichen philosophischen Debatten. Zu Beginn
der biblischen Schöpfungsgeschichte kommt die Sprache auf einen
Anfang und in Form der sieben Schöpfungstage auch auf sich bewegende
Zeit. Im Anfang unseres Universums schuf Gott Himmel und Erde. Das
impliziert: Gott war als dessen Ursache selbstverständlich schon
existent. Das Wesen der Zeit zu erleuchten scheint hier aus
naturwissenschaftlicher Sicht der notwendige Schritt, um sich der
Antwort auf das Problem des ursachenlosen Schöpfers zu nähern.
Dabei können wir hoffentlich vermeiden, in die geistigen
Fettnäpfchen der Kreationisten zu treten, und bemüht sein, niemals
Glaube mit Naturwissenschaft zu verwechseln – in der Annahme, der
Glaube an Gottes Allmacht müsse vom Menschen mit empirischen
Beweisen erhärtet werden. Wozu wäre dann der Glaube noch nötig?
Von der Relativität der Zeit
Zeit genießt unter uns Menschen als
Dimension unseres Alltagserlebens eine absolute Stellung. Einzig
unsere subjektive Wahrnehmung läßt die absolute Zeit etwas
relativer erscheinen. Langweilen wir uns, scheint die Zeit nicht
„vergehen“ zu wollen; sind wir inspiriert, „vergeht“ sie
scheinbar im Fluge. Diese differentielle Wahrnehmung des „Vergehens“
von Zeit hängt von rein psychologischen Faktoren ab. Bei für uns
anregenden Stimulantien bekommt der Geist viel zu tun, wir haben
also keine Zeit um uns über die Zeit Gedanken zu machen. Langweilt
man sich allerdings, sind wir vom „Vergehen“ der Zeit förmlich
besessen, schauen unablässig auf die Uhr und legen unsere ganze
Aufmerksamkeit auf die Zeit, ohne die Ereignisse zu beachten welche
in der Zwischenzeit geschehen. Der Terminus „Vergehen“ weist hier
allerdings nur darauf hin, daß Ereignisse, deren Abfolge wir
zeitlich erfassen können, ihren Lauf nehmen, und lagen sie doch
zuerst in der Zukunft, sind sie nach ihrem Eintreten schon wieder
„vergangen“.
«
Aber die Physik hat es doch mit der Beschreibung aller
Erscheinungsformen zu tun, nicht nur derer, die uns durch den
Bewegungssinn, sondern auch derer, die uns durch den Muskelsinn, den
Temperatursinn, den Farbensinn usw. vermittelt werden, und
dementsprechend sind die fundamentalen physikalischen Begriffe direkt
aus den speziellen Sinnesempfindungen abzuleiten. Exakt messen können
wir zwar eine Temperatur ebensowenig durch den Temperatursinn wie
eine Kraft durch den Muskelsinn oder eine Farbennuance durch den
Farbensinn, weil dazu die Schärfe unserer Sinnesempfindungen nicht
ausreicht, sondern wir müssen uns zur Erreichung dieses Zweckes nach
anderen Erscheinungen umsehen, die erfahrungsgemäß mit den
genannten Empfindungen in einem notwendigen Zusammenhang stehen ... »
(Planck, Max: Das Prinzip der
Erhaltung der Energie. B. G. Teubner Verlag, II. Auflage,
Leipzig und Berlin, 1908, S. 171)
Max Planck verstand die Zweckmäßigkeit
der Physik darin, allen den menschlichen Sinnen zugänglichen
Erscheinungsformen auf den Grund zu gehen, ohne dabei einzelne
hiervon prinzipiell zu bevorzugen. Wenn die Zeit und ihr „Vergehen“
als eine Erscheinungsform unserer Wahrnehmung unseren Sinnen
zugänglich ist, zählt sie im Sinne Plancks eben zu diesen
fundamentalen physikalischen Begriffen. Als sich wenige Jahre später
Einsteins Relativitätstheorien langsam durchzusetzen vermochten,
wurde klar, daß auch die Erscheinungsform der Zeit durch ihre
Relation zu anderen Erscheinungen, die wir sinnlich erfassen können,
näher zu beschreiben ist. Wie das oben erwähnte Exempel der
relativen Wahrnehmung illustriert hat, sind die zuweilen recht
sinnentrückten Eigenschaften der Zeit, mit denen wir uns befassen
wollen, deshalb Erscheinungsformen im Sinne Plancks, da sie auf ihre
wesentlichen Eigenschaften hin auch auf unsere Alltagserfahrung
komprimierbar erscheinen.
Ansonsten scheint Zeit – gerade weil
wir sie mittels Uhren zu messen vermögen – ein erstaunlich
präzises und sich immer gleichmäßig verhaltendes Phänomen zu
sein. Daß die heterogene Wahrnehmung der Zeit einzig auf unseren
Geist zurückzuführen ist, scheint uns dabei sehr bewußt. So
präzise wie es erscheint, fließt die Zeit allerdings nicht vor sich
hin. Ihren Fortgang beeinflussen im Wesentlichen in unserem
Universum zweierlei Faktoren: Geschwindigkeit und Gravitation –
beide allerdings nur in ihren extremsten Ausprägungen.
Extreme Geschwindigkeit
Begäbe sich einer von zwei eineiigen
Zwillingen auf eine Weltraumreise und sein Bruder bliebe auf der
Erde, böte sich die einzigartige Möglichkeit, die Relativität der
Zeit auf äußerst maßgebliche Weise zu illustrieren. Nehme man zum
Zwecke dieses Gedankenexperiments einmal an, der raumfahrende
Zwilling reise mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 0,8 c
(⁴⁄₅ der
Lichtgeschwindigkeit) zum nächstgelegenen Sternensystem Alpha
Centauri. Logischerweise könnte man davon ausgehen, dass eine solche
Reise von etwa vier Lichtjahren bei 0,8 c – Abbrems- und
Beschleunigungsphasen sind zu ignorieren – circa fünf Jahre pro
Strecke, also zehn Jahre bis zur Rückkehr auf die Erde in Anspruch
nehmen sollte. Und genau so würde es der irdische Zwilling auch
wahrnehmen. Nach zehn Jahren kehrt sein Bruder zurück aus dem All.
Subjektiv vielleicht, objektiv ganz gewiß wird beiden Brüdern
auffallen, daß sie in den letzten Jahren nicht mehr in temporaler
Gleichzeitigkeit existiert haben. Der Uhren- und Kalendervergleich
beweist: der raumreisende Bruder ist ganze vier Jahre weniger
gealtert – seine Zeitmesser zeigen an, daß nur sechs Jahre seit
seinem Aufbruch von der Erde vergangen sind und nicht zehn, wie für
seinen irdischen Zwilling.
Dieses Phänomen nennt man Zeitdilatation. Für ein bewegtes Objekt vergeht die Zeit langsamer im Vergleich zu einem unbewegten Objekt. Beide Objekte befinden sich in ihrem jeweils eigenen Inertialsystem. Hier kommt die Einsteinsche Verknüpfung von Raum und Zeit zum Tragen. Es ist unmöglich, den Raum zu manipulieren, ohne die Zeit gleichermaßen zu beeinflussen. Bei einer solch schnellen Reise durch das All geschieht die Manipulation des Raumes, indem mittels eines Raumschiffs eine große Distanz in einer bestimmten Zeit zurücklegt wird. Zu diesem relativistischen Phänomen kommt noch ein weiteres hinzu, welches sich auf die zurückgelegte Wegstrecke bezieht. Denn wenn der raumreisende Zwilling bereits nach sechs Jahren von seinem Abenteuer zurückkehrt – der Abstand zwischen Erde und Alpha Centauri jedoch eine zehnjährige Reise erfordert – hat er offenbar auch weniger Distanz zurückgelegt, als eigentlich nötig schien. So krümmen hohe Geschwindigkeiten nicht nur die Zeit, sondern aufgrund der raumzeitlichen Struktur des Universums auch den Raum, und es kommt zur sogenannten Längenkontraktion. Aus der Sicht des irdischen Bruders ist sein weltraumreisender Bruder also mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit größer als c geflogen. Dies war aus Sicht des Inertialsystems „Raumschiff“ jedoch zu keiner Zeit gegeben. Für sich genommen ist c immer konstant, in Relation zwischen einen bewegten und einem unbewegten Objekt kommt es hier jedoch zu einem subjektiven Paradoxon.
Bereits hier wird klar ersichtlich, daß
Objektivität nur in geschlossenen, unbewegten oder gleichförmig
beschleunigten Bezugssystemen gegeben sein kann. Zeit vergeht oder
„fließt“ innerhalb unserer meßbaren Realität immer,
jedoch hängt ihre subjektive Geschwindigkeit von bestimmten
Inertialsystemen und ihrer Relation zueinander ab. Extrem hohe
Geschwindigkeiten vermögen uns einen Einblick in die Natur der Zeit
zu geben, wie sonst nur die extremsten Formen der Anziehungskraft.
Extreme Anziehung
Die Gravitation ist schon ganz
allgemein betrachtet ein beachtliches Ding. Bewirkt dieselbe Kraft
einerseits, daß sich die Planeten in ihren Umlaufbahnen um die Sonne
halten, kann ich sie andererseits mittels der äußerst
überschaubaren Kräfte meines Armes doch spielend überwinden, indem
ich meinen Federhalter aufhebe. Viele Theoretiker hoffen gar darauf,
daß die Gravitation und ihr Trägerteilchen, das Graviton, als der
vielversprechendste Kandidat für die vereinheitlichte Feldtheorie,
die mathematisch elegante Verknüpfung zwischen den beiden
bestimmenden Lehren der theoretischen Physik ermöglichen könnte –
von Gravitationslehre und Relativistik auf der einen und
Quantentheorie auf der anderen Seite –, eben weil die Gravitation
derart leicht die Grenzen zwischen den einzelnen
Fundamentalgesetzmäßigkeiten zu überwinden vermag und sich ihre
Kraft nach den jeweils vorherrschenden Inertialsystem richtet.
In Bezug auf ihrer Koexistenz mit der
Zeit gelingt es der Gravitation ebenso zu verblüffen. Die Faustregel
lautet hier: Je näher man sich am Zentrum des massereichsten und
damit anziehungsstärksten Objekts im lokalen Raum befindet, desto
langsamer fließt die Zeit. Der Dimension unseres Denkens angepaßt
kann man diesen Effekt illustrieren, indem man sich den Raum als ein
gespanntes Tuch vorstellt, in das eine Kugel gelegt wird. Da der
menschliche Verstand sich vierdimensionale Phänomene schwer
vorzustellen vermag, ist die Dicke des Tuches zu ignorieren und somit
von einer quasi 2+1-dimensionierten Raumzeit auszugehen – der
Quintessenz des Gedankenexperiments tut dies keinen Abbruch. Ein
gespanntes Tuch wird somit, wenn es durch eine Kugel belastet wird,
eine Delle bekommen. Soweit scheint unser lokaler Raum des erdnahen
Gebiets rekonstruiert. Die Erde krümmt den sie umgebenden Raum somit
auf einer bestimmten Ebene. Nun benötigt man noch ein Hilfsmittel,
um die sich geradlinig ausbreitende Zeit darzustellen. Da genügt ein
Stück Schnur, das auf dem gespannten Tuch plaziert wird. Mißt man
die Länge der Schnur vom einen Tuchende zum gegenüberliegenden,
wenn sie neben der „Raumdelle“ liegt, gelangt man zum
Ausgangswert der Distanz, welche die Zeit in unserem Experiment
zurücklegen muß, um vom einen zum anderen Punkt zu gelangen.
Verschiebt man nun aber die Schnur und läßt man sie nah zur Mitte
des Tuches in die durch die Kugel entstandene Krümmung sinken,
ergibt sich eine höhere Gesamtlänge und damit verbunden eine
größere Distanz, welche die Zeit zurücklegen muß, um sich
auszubreiten. Dieses Phänomen tritt recht deutlich bei der
Ausbreitung von Licht zu Tage. Bei der Beobachtung ferner Sterne
kommt es zum Exempel zum sogenannten Gravitationslinseneffekt. Hier
beobachtet man zuweilen, daß sich ausbreitendes Licht, wie es von
einem Stern ausgesendet wird, auf seinem Weg in die Linse der
irdischen Teleskope einige Hindernisse zu überwinden hat. Wenngleich
sich das Licht auch linear ausbreitet, unterliegt es beim nahen
„Vorbeiflug“ an massereichen Objekten einem Effekt, der es
zwingt, einen Umweg zu nehmen. So entsteht von der irdischen
Perspektive aus betrachtet sowohl eine räumliche Verschiebung zur
tatsächlichen Lichtquelle als auch eine fälschlich hoch
anzunehmende scheinbare Entfernung. Durch den Linseneffekt des
Gravitationsbereiches massereicher Objekte innerhalb der Flugbahn des
Lichts erhöht sich auch die Distanz, welche es zurücklegen muß, um
eine definierte Strecke zu überwinden. Wenn besagter
Gravitationslinseneffekt von Astronomen festgestellt wird, müssen
die Meßergebnisse zur Entfernung und zum Ausgangspunkt der
Lichtquelle unter Einbeziehung der Größe und Masse des
„Störobjekts“ supprimiert werden.
Am krassesten
verdeutlicht sich der „zeitbeugende“ Effekt der Gravitation an
den extremsten Gravitationsquellen unseres Universums: den
sogenannten Singularitäten. Singularitäten kann man als Gebiete der
physikalischen Gesetzlosigkeit begreifen, in denen alle ansonsten
meßbaren Größen nicht mehr in logische Verhältnisse zueinander zu
setzten sind. Der prominenteste Vertreter dieser anarchischen Systeme
ist das „Schwarze Loch“. Schwarze Löcher sind zumeist aus
Sternen entstanden, welche gegen Ende ihres Lebenszyklus den Großteil
ihres Wasserstoffes in Helium fusioniert haben und dann aufgrund des
gestiegenen Drucks und extremster Hitze beginnen, die höheren
Elemente zu bilden. Wenn dann eine kritische Masse erreicht ist,
stößt der Stern die leichten und damit flüchtigeren Element von
sich – wir nennen diese Sternenexplosionen Supernovae. Wenn die
Supernovae vergehen, entstehen – vorausgesetzt, der Stern hatte
eine ausreichend hohe Masse – aus den unter dem enormen Druck
implodierten hohen Elementen die Schwarzen Löcher. Diese kann man
sich als eine Art extreme Beugung eines relativ begrenzten Bereichs
der Raumzeit vorstellen. Eine kleine, aber extrem schwere Kugel
hinterläßt, im hypothetischen Tuch unseres obigen
Gedankenexperiments, eine viel tiefere, wenn auch weniger ausgedehnte
Delle als eine relativ leichte, größere Kugel. Die Krümmung des
Raumes, die ein Schwarzes Loch erzeugt ist jedoch so extrem, daß
keine Materie, auch nicht in Form von Energie oder Information,
diesem noch entkommen kann. Die enormen Gravitationskräfte dieser
Art von Singularitäten sorgen dafür, daß selbst Photonen, welche
das Licht vermitteln, dem Sog des Giganten nicht entgehen können.
Innerhalb unseres Gedankenexperiments vom gespannten Tuch kann man
sich nun vorstellen, daß die Delle, welche von einem sehr kleinen
und ebenso schweren Objekt erzeugt wird, so tief ist, daß die
Schnur, wird sie darübergelegt, im Nu vollständig darin
verschwindet. Weshalb entspricht nun das Licht ebenso der Schnur, wie
die Zeit es tut? Diese beiden Phänomene sind im beschriebenen
Experiment Entsprechungen voneinander, denn das Licht folgt wie alles
andere, was sich in unserem Universum fortbewegt, der temporalen
Kausalität. Die Photonen des Lichts benötigen einen definierten und
nach obenhin begrenzten Zeitraum, um im Raum vom einen Punkt zum
nächsten zu gelangen. Dadurch, daß sich Zeit nur in Bezug auf die
Abfolge von Ereignissen meßbar machen läßt, ist mit der
Fortbewegung der Photonen des Lichts kausal immer auch Zeit, die
vergeht, impliziert.
Die wahre Grenzerfahrung folgt aber
noch. Der erwiesenen Annahme folgend, daß Zeit durch
Gravitationskräfte verlangsamt wird, erreicht dieser Effekt aus der
Sicht eines äußeren Betrachters im Gravitationsfeld eines Schwarzen
Loches seinen denkbaren Höhepunkt. Zeit und damit alle Abläufe,
welche durch sie definiert werden können, verlangsamen sich beim
Sturz ins Schwarze Loch, gemäß der vormals erwähnten
Zeitdilatation, bis zu einem singulären Punkt, an dem dann der
Ablauf der Zeit nicht mehr festzustellen ist: die Zeit steht still.
Daß es ein „nach“ diesem Nullpunkt gibt und der Zeitpfeil
begänne, sich negativ auszubreiten, wäre gegebenenfalls eine nähere
Überlegung wert, welche später nochmals aufgegriffen werden soll.
Im übrigen, der neulich erfolgte und
vom Nobelkomitee gewürdigte Nachweis von Gravitationswellen, wie er
Thorne, Barish und Weiss von der LIGO-Kollaboration gelungen ist,
schlägt erstmals eine praktisch verifizierbare Brücke zur Theorie
der Vereinbarkeit der beiden Hauptzweige der Theoretischen Physik und
damit zu einer einheitlichen Feldtheorie, welche das Ziel hat, alle
Wechselwirkungen der einzelnen Massen- und Energiefelder
zusammenzufassen. Dies dient auch der Untermauerung der oben
stehenden Phänomene von Längenkontraktion und Zeitdilatation. Auch
hier kommt der bekannte Welle-Teilchen-Dualismus zum Tragen – er
besagt, daß nicht nur Licht die Eigenschaften vereint, einerseits
aus Teilchen zu bestehen und andererseits sich im bewegten Konvolut
wellenartig zu verhalten. Die Gravitonen erzeugen demnach ein Feld,
das Gravitationskraft vermittelt. Kommt es bei bewegten Massen wie
dem ultraschnellen Raumschiff unseres Astronauten-Zwillings zur
Bildung solcher Gravitationswellen, zeigen eben diese auf, wie der
Raum – und damit auch die Zeit – lokal derartig gekrümmt werden
können, daß ein Objekt aus der Sicht eines unbewegten Beobachters
schneller als das Licht zu reisen vermag. Die zurückzulegende
Distanz verringert sich aufgrund der durch die Gravitationswellen
erzeugten Raumkrümmung, und somit bleibt c konstant, auch wenn es
für den stillstehenden Zwilling so wirkt, als sei sein Bruder
schneller als das Licht gereist. Der Brückenschlag zur
Quantentheorie scheint da nicht mehr weit.
Im Allerkleinsten ticken die Uhren anders
Die Zeit und damit unsere gemeine
Vorstellung von Kausalität hängen ab von unserer Alltagserfahrung.
Dank ihr erkennen wir, ob ein Mann über- oder unterdurchschnittlich
groß ist und ob ein Produkt unserer Größenvorstellung entspricht,
wenn es neben einer uns bekannten Münze fotografiert wird. Unser
Geist vergleicht unablässig eines mit dem anderen, um sich mittels
dieser Relationen zu orientieren und Strukturen zu bilden, mit denen
wir einen Bezug zu bereits Bekanntem herstellen können. Wenn man es
aber mit Größen im Allerkleinsten zu tun bekommt, funktionieren
weder Größenrelationen noch temporale Kausalität in gewohnter Art.
Man definiert die Größenordnung von
10-35 m – die sogenannte Planck-Länge – als den
Bereich, in dem Quanteneffekte maßgeblich werden und die Newtonsche
Physik – somit auch die Relativitätstheorien – ihre Gültigkeit
verliert. Da dieser Bereich experimentell bisher kaum erschlossen
ist, liegt die Formulierung einer vereinheitlichten Feldtheorie im
allergrößten Interesse der Physiker, die imstande ist, die
quantenmechanischen Effekte dieser raumzeitlichen Region
vorherzusagen, ohne damit weiterhin in Konflikt mit den Paradigmen
der Newtonschen und Einsteinschen Mechanik zu geraten.
Klar scheint, daß weder die
menschliche Alltagserfahrung noch die Vorhersagen der beiden
Relativitätstheorien greifbar machen können, was bisher über
diesen Bereich in Erfahrung gebracht werden konnte. Eines dieser
scheinbar schwer erklärlichen Phänomene zeigt sich in der
Unschärferelation des Werner Heisenberg. Sie besagt, daß zeitgleich
nur eine meßbare Größe eines Teilchens exakt bestimmt werden kann.
Eine zweite kann zu diesem Zeitpunkt alle möglichen Werte und
Eigenschaften besitzen. Mißt man die zweite Eigenschaft, verhält es
sich mit der ersteren umgedreht genauso. Das Teilchen wird somit in
gewisser Weise selbst zu einem singulären Objekt. Da Teilchen in
allen Fällen relativistische Objekte sind und damit oberhalb der
Planck-Länge angesiedelt werden müssen, wird hier erneut die
Koexistenz dieser beiden Welten der Realität offenbar. Ein Teilchen
ist zwar ein relativistisches Phänomen, aber quantenmechanischer,
das heißt wellenartiger Erscheinung, wenn es im bewegten Konvolut
auftritt oder beispielsweise sein Impuls exakt gemessen werden soll,
währenddessen man bemüht ist, es exakt zu lokalisieren. Dieses
Prinzip der Komplementarität nimmt in der Unbestimmtheit der zweiten
Observable zu, je größer die Bestimmtheit der ersten wird. Nach dem
Prinzip der Superposition ist im quantenmechanischen Mikrokosmos
sogar eine Überlagerung oder Umkehrung kausaler Zusammenhänge
möglich. Ursache und Wirkung können hier scheinbar zeitgleich oder
eben auch im Wechsel eintreten. So kann es aufgrund der
Unbestimmbarkeit von differenzierbaren Observablen auch geschehen,
daß eine Wirkung post hoc ergo
propter hoc zu ihrer eigenen Ursache wird.
Mir scheint hier der Rahmen für eine
kleine eigene Spekulation gegeben, indem ich im Lichte dieser
Beschreibung der Komplementarität und der Superposition die
oben erläuterten Singularitäten wieder aufgreife. Wenn Schwarze
Löcher über ihre ganze Existenz hinweg sämtliche sie umgebende
Materie verschlucken, wohin mit dieser ganzen Energie? Bereits
erwiesen scheint, daß es trotz der beschriebenen Eigenschaften
fortwährend zu einem Energie- und damit auch Masseverlust bei
beobachtbaren Schwarzen Löchern kommt. Das heißt, ihre Masse nimmt
in Relation zum Materienachschub nicht immer gleichförmig zu. Der
britische Physiker Stephen Hawking postulierte hier die
Hawking-Strahlung, eine hypothetische Wärmestrahlung, die dem
Ereignishorizont des Schwarzen Loches dann doch entkommen kann. In
Anbetracht der beschriebenen quantenmechanischen Effekte paßt wohl
die These, daß der beschriebene Nullpunkt, an dem die Zeit im
Inneren der Singularität aufhört zu fließen, nicht das Ende der
Reise der absorbierten Materie sein muß. Im Sinne der umgekehrten
Kausalität: Könnte es möglich sein, daß die in ihre Bestandteile
zerlegte Energie, an diesem Nullpunkt angekommen, umgekehrt in der
Zeit beschleunigt wird und damit unter diesen extremen Bedingungen
negative Zeit zum Tragen kommt? Würde rein hypothetisch von dieser
Reise in die Vergangenheit ausgegangen, gibt es nach knapp vierzehn
Milliarden Jahren Reise nur einen Ort-Punkt, an dem die Energie enden
kann, da es zu diesem Zeitpunkt nur einen Ort gab. Ja, das Universum
war damals nur ein Ort extrem verdichteter Energie. Die dem Urknall
vorangesetzte Anfangssingularität barg sämtliche Rohenergie, die
wir heute im Kosmos vorfinden. Die Singularitäten der Gegenwart und
Zukunft könnten also die Rohenergie liefern oder geliefert haben –
ganz nach linguistischem Geschmack – um die
Anfangssingularität zu bilden. So könnte das gegenwärtige
Universum mit all seiner Energie und Masse post
hoc ergo propter hoc seine eigene Ursache sein.
Nachdem nun ein Einblick in die
Definition von Zeit gegeben wurde und erörtert wurde, inwiefern sie
lediglich durch ihre Relation zu anderen Strukturen und Größen real
zu sein scheint, gilt es zu klären, inwieweit ein Schöpfer in diese
relative temporale Kausalität zu integrieren sei.
„Vor“ dem Urknall
In der Frage zum Anfang des Universums
gilt es logischerweise, dessen Ursprung zu beleuchten. Wenn der
Kosmos einen Startpunkt und eine Startzeit besitzt, muß doch etwas
vor diesem großen Knall gewesen sein, irgend etwas fest Terminier-
und lokal Bestimmbares. Der Schöpfer sollte sich doch vor der
Erschaffung des Kosmos an irgendeinem Punkt involviert und damit
jenen Prozeß in Bewegung gebracht haben, der uns heute ermöglicht,
solcherlei Fragen überhaupt zu stellen! Wenn wir dies annehmen –
woher stammt der Schöpfer und wie lange existiert er schon?
„Ich bin das Alpha
und das Omega, spricht Gott, der Herr, der ist
und der war und der kommt, der
Herrscher über die ganze Schöpfung.“ (Offenbarung
1,8 EÜ).
Im hier zitierten ersten Kapitel der
Offenbarung des Johannes spricht der Herr von sich selbst als Alpha
und Omega. Dies impliziert, daß er Anfang und Ende ist. Zudem
beschreibt er sich als Derjenige, der ist und war
und kommt. Aus physikalischer Perspektive sticht
hier klar ein temporaler Sachverhalt hervor. Wenn Gott IST, dann
bezieht sich das auf seine Präsenz in der Gegenwart, wenn er WAR,
dann auf seine Existenz in der Vergangenheit und wenn er dann KOMMT,
muß die Zukunft gemeint sein. Durch diese Beschreibung in
Kombination mit der Annahme, daß er den Zeitpfeil nicht nur vor
Augen hat, sondern auch dessen Anfang und Ende ist – seine Ursache
sowie seine Wirkung –, kommt doch klar zum Ausdruck, daß der
Herr dem Fluß der Zeit offenbar nicht unterworfen ist, anders als
seine Schöpfung. Gott beherrscht demnach seine Schöpfung, und diese
ist ihrer Natur nach kein rein räumliches, sondern ein
raumzeitliches Gebilde. Wenn Gott den Raum, also sämtliche Materie
und Energie des Universums geschaffen hat und beherrscht, dann
beherrscht er ebenso die Zeit und ist als Ursache derselben zu
begreifen.
Auch Christus bedient sich ähnlicher
Worte im gleichen Buch, wenn er sagt: „Fürchte dich nicht! Ich bin
der Erste und der Letzte“ (Offb.
1,17b EÜ). Oder über Christus gesprochen: „So spricht
Er, der Erste und der Letzte, der
tot war und wieder lebendig wurde“ (Offb.
2,8b EÜ). Wenn dann am Ende der Offenbarung und damit zum
Ende der ganzen kanonischen Bibelaufzeichnung gesagt wird: „Siehe,
ich komme bald, und mit mir bringe ich den Lohn, und ich werde jedem
geben, was seinem Werk entspricht. Ich bin das Alpha
und das Omega, der Erste und der
Letzte, der Anfang und das Ende.“
(Offb. 22,12-13 EÜ)
wird die Wesensidentität von Gott und Christus über die ganze
Schöpfung und damit über Raum und Zeit gesetzt. Da der Herr allein
von Anbeginn der Zeit an das ganze Universum überblickt, kann auch
nur er allein darüber verfügen. Und: Nur er ist dazu in der Lage,
seine Schöpfung zu beurteilen und über sie zu richten.
Wenn man sich des Axioms klar ist, daß
der Anbeginn des Universums mit dem Anbeginn der Zeit
gleichgesetzt werden muß, wird die Frage nach dem „Vorher“
obsolet. Es gab nicht „Nichts“ vorher, sondern ein „Vorher“
gab es nicht. Mit der Expansion der Anfangssingularität begannen die
Relationen und kausalen Vorgänge erst zu geschehen, welche das
„Vergehen“ von Zeit definierbar machen. Ein „Vorher“ im
physikalischen Sinne kann daher ausgeschlossen werden. Tempus fugit –
jedoch erst seit Anbeginn der Zeit.
Der Schöpfergott ist also als Wesen
außerhalb von unserem 3+1-dimensionierten Raumzeitgefüge anzusehen,
welcher jene Naturkräfte, die alle Vorgänge innerhalb des
Universums erst möglich machen, ebenso erschaffen hat, wie er uns
befähigt hat, über dergleichen Fragen zu sinnieren. Die Bindung des
Menschen an zeitliche Paradigmen ist offenbar nichts, was dem
Schöpfer selbst eigen ist. Als Erschaffer der Zeit kann er ihr nicht
unterworfen sein, denn der Herr ist schwerlich als Schöpfung seiner
Selbst vorstellbar, auch wenn quantenmechanische Sachverhalte die
post hoc ergo propter hoc-These
des „danach also deswegen“ durchaus vorstellbar machen. Dies ist
jedoch deshalb auszuschließen, weil die Quantenmechanik ebenso ein
Teil des erschaffenen Universums ist wie die Zeit – sie ist, in
welcher relativen Geschwindigkeit oder Kausalität auch immer,
unverrückbar mit unserer vierdimensionalen Realität verknüpft. Der
Schöpfer kann demnach nicht der Zeit und einer temporalen Kausalität
irgendeiner Relation unterworfen sein.
Da von Ursachen zu sprechen erst in
Bezug auf raumzeitliche Gefüge Sinn ergibt, wird auch die Frage nach
dem kausalen Ursprung des Schöpfers obsolet. Er benötigt – weil
nicht unseren Naturgesetzen unterworfen – keine Ursache und erst
recht kein definierbares Alter. Die Realität Gottes könnte man
vielleicht als Zustand infiniter Divergenzen in infiniten
Kombinationen verstehen, eine Mannigfaltigkeit, in der alle Kräfte,
Energien und Gesetzmäßigkeiten unseres Universums ihre temporal
akausalen Ursprünge haben. Somit könnte es dem Schöpfer möglich
geworden sein, die Idee der Schöpfung zu haben, da er alle
Informationen für alle möglichen Universa Sein nennt. In dieser
grenzen- und zeitlosen Sphäre gab es im übertragenen Sinne Papier,
Farbe und Pinsel, um das Gemälde unserer Realität zu erschaffen.
Nur der Schöpfer war in der Lage, die Zweckmäßigkeit dieser
Utensilien zu erkennen und ihnen mit der Erschaffung unseres
universellen Gemäldes eine Ordnung und Bedeutung zu geben. So waren
die Grundinformationen zur Erschaffung von Raumzeit und Energie
vorhanden, um vom Herrn in ein geordnetes Ganzes gemäß seiner
Vorstellung transformiert zu werden.
Um diese übergeordnete Realität in
Ansätzen zu erfassen, stellen wir uns das Leben in einer
2+1-dimensionierten Welt vor: Die mathematische und
gesellschaftskritische Novelle „Flächenland“ von Edwin A. Abbott
setzt da an: Im Flächenland fehlt die Dimension der Höhe. Alle
Bewohner sind in simple geometrische Formen untergliedert, wie
Rechtecke, Quadrate oder Kreise. Es gibt grenzenlos umständliche
Wege herauszufinden welcher geometrischen Form das Gegenüber
zuzuordnen ist, da ja die Draufsicht aufgrund der fehlenden
Höhendimension fehlt. Wenn wir uns innerhalb dieser Parabel
beispielsweise als ein gleichschenkliges Dreieck vorstellen wollten,
wie es wäre, einer räumlichen Dimension mehr zu unterliegen, würden
wir sehr schnell an unsere intellektuellen Grenzen stoßen. Leichter
scheint es da, sich vom Höherdimensionierten zum
Niedrigerdimensionierten zu denken und sich das Flächenland zum
Exempel als ein Blatt Papier vorzustellen. Wir sind der Künstler,
uns stehen ein Pinsel und Farbe zur Verfügung, und wir können damit
auf diesem Blatt ein eigenes Universum erschaffen, welches in sich
geschlossen dem unsrigen untergeordnet existiert. Für die
Schöpfungen dieses Universums gäbe es – die Dicke des Papiers und
der aufgetragenen Farbe sei hier ignoriert – nur zwei räumliche
Dimensionen. Woher das Rohmaterial für ihre Realität kommt, wüßten
sie nicht. Ebenso wenig könnten sie die dreidimensionale Welt des
Schöpfers wahrnehmen, obwohl diese sie umgibt und damit greifbar nah
ist. Wir jedoch hätten die Macht, diese kleine Welt nicht nur zu
erschaffen, sondern auch zu beeinflussen. Wir könnten neue Objekte
hinzufügen und andere wieder entfernen – bis hin zur Vernichtung
und kompletten Neuordnung der Papierwelt. In der Realität des
Künstlers ist die Farbe, die er streicht, kleckst oder tupft, nur
ein Werkstoff von vielen. Für die Geschöpfe der Papierwelt wäre
diese Farbe jedoch das, aus dem alles gemacht ist, der Werkstoff, der
ihre ganze Realität ausmacht. Und da sie zweidimensional konzipiert
wurden, könnten sie allerhöchstens zu dem Schluß kommen, daß ihre
Welt und das, woraus sie besteht, Ursprung in einer höheren
Wirklichkeit genommen hat, in einer scheinbar infiniten
Mannigfaltigkeit. Wie diese Wirklichkeit aussehen mag, könnten sie
nicht erahnen.
Der ursachenlose Schöpfer ist
demzufolge kein kausaler Widerspruch, da er unserer Vorstellung
von Zeit und Raum als ihr Erschaffer nicht unterworfen ist. Gerade in
Anbetracht der hier aufgezeigten Relativität der Zeit mutet der
Versuch Einzelner oder ganzer Gruppen grotesk an, die biblische
Überlieferung zur Entstehung der Welt ohne übergeordneten Kontext
mit allzu streng verstandenen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen
zu verbinden. Wenn die Zeit für den Schöpfer nur eine seiner vielen
Schöpfungen darstellt, wieso wäre er dann aus unserer Sicht an sie
gebunden? Für Gott muten tausend Jahre an wie ein einziger Tag, wie
in Psalm 90,4 zu lesen. Das zeigt doch sehr deutlich auf: Die
Realität des Schöpfers – Souverän über Raum und Zeit – mit
unserer eigenen physikalischen Wirklichkeit gleichzusetzen wäre
ebenso töricht wie dieselben Texte als wörtliche Rechenformel der
Schöpfungsgeschichte zu verstehen. Der Herr ist das Alpha und das
Omega und damit auf naturwissenschaftlichem Wege weder zu belegen
noch zu widerlegen, da er keiner fundamentalen Gesetzmäßigkeit
unseres Universums unterworfen ist. Das höchste Maß an empirischer
Nähe zum Schöpfer ist insofern erreicht, wenn wir die Grenzen
unseres Wahrnehmungs- und Denkvermögens als die natürliche Grenze
zur Realität des Herrn begreifen. Der Glaube an ihn ist ein
Geschenk. Wenn wir es annehmen, gehört uns das Leben sub
specie aeternitatis.
Literatur
Abbott,
Edwin A.: Flächenland – Ein Märchen mit mehrerlei Dimensionen.
Übersetzt von Antje Kaehler. RaBaKa Publishing, I. Auflage der
Neuübersetzung, Neuenkirchen 2009
Deissler,
Alfons & Vögtle,
Anton (Hrsg.): Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung. Altes und Neues Testament. III. Auflage der Sonderausgabe. Herder Verlag, Stuttgart, 2007
Planck,
Max: Das Prinzip der Erhaltung der Energie. B. G. Teubner Verlag, II.
Auflage, Leipzig und Berlin, 1908
Randall,
Lisa: Verborgene Universen – Eine Reise in den extradimensionalen
Raum. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hartmut Schickert. Verlag
S. Fischer, I. Auflage, Frankfurt a.M., 2006
Randall,
Lisa: Die Vermessung des Universums – Wie die Physik von Morgen den
letzten Geheimnissen auf der Spur ist. Aus dem Amerikanischen
übersetzt von Jürgen Schröder. Verlag S. Fischer Verlag, II.
Auflage, Frankfurt a.M., 2012
Spatschek,
Karl-Heinz: Astrophysik – Theorie und Grundlagen. B. G. Teubner
Verlag, I. Auflage, Wiesbaden, 2003
Dieser Artikel ist ebenso verfügbar unter http://www.occidens.de/
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